17. September 2007

Gastarbeiter


Kaum mehr im Bewusstsein verankert ist die Tatsache, dass jahrhundertelang Abertausende Vorarlberger auf Grund der wirtschaftlichen Strukturschwäche des Landes gezwungen waren, als Saisonwanderer und Gastarbeiter im – nicht selten fremdsprachigen – Ausland ihr Brot zu verdienen.

Ursprünglich war der Kriegsdienst als Söldner die von der Größenordnung her wichtigste Form der Arbeit außer Landes. Vorarlberg bildete ähnlich wie die Schweiz und Schwaben ein wichtiges Rekrutierungsgebiet. Im 16. und 17. Jahrhundert waren bis zu zehn Prozent der wehrfähigen Männer Vorarlbergs als Landsknechte in vielen Teilen Europas tätig.

Die wirtschaftliche Notlage nach Ende des Dreißigjährigen Krieges förderte schließlich weitere saisonale Wanderbewegungen. Etwa ein Fünftel der Landesbevölkerung suchte damals alljährlich Arbeit in der Fremde. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert nennen die Quellen verstärkt handwerkliche Tätigkeiten, denen befristet oder unbefristet außer Landes nachgegangen wurde. Es waren vornehmlich Bauhandwerker (Maurer, Steinmetze, Stuckateure und Zimmerleute), die nach Frankreich, in die Schweiz und die damals österreichischen Gebiete in Süddeutschland zogen. Diese Bauleute, aus deren Kreis auch die berühmten Vorarlberger Barockbaumeister stammten, waren als Saisonarbeiter ebenso wie als Gastarbeiter im modernen Sinn des Wortes tätig.

Eine besondere Rolle spielte diese Form der Arbeitsmigration für die südlichen Landesteile, namentlich für das Klostertal und das Montafon sowie für den Bregenzerwald. Noch im Jahre 1835 stellte Vorarlberg etwa 5.800 jährliche Auswanderer, immerhin 5,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. In St. Gallenkirch im Montafon standen gegen Ende des 19. Jahrhunderts 150 Saisonwanderern nur 140 Männer über 20 Jahre gegenüber, die den größten Teil des Jahres zu Hause verbrachten, meist ältere Männer, die solche Reisen nicht mehr unternehmen konnten. Eine Montafoner Spezialität war das 'Krautschneiden'. Zahlreiche Bewohner dieser Talschaft reisten mit ihren sechsmesserigen Krauthobeln ins Rheinland bis nach Holland, aber auch nach Ungarn, um dort – von Haus zu Haus ziehend – Krautköpfe für die Herstellung von Sauerkraut zu schneiden.

Eine besondere Form der Arbeitsmigration bildeten die Wanderungen der so genannten "Schwabenkinder". Zu Hunderten zogen alljährlich im Frühjahr Kinder aus Vorarlberg und Westtirol im Alter von sieben bis 16 Jahren – meist ohne Begleitung Erwachsener – nach Schwaben, um dort auf regelrechten Kindermärkten an Großbauern vermittelt zu werden. Hauptbeschäftigungen waren das Viehhüten sowie leichtere Feldarbeiten. Die Entlohnung bestand in freier Station, einigen Kleidungsstücken und einem geringen Geldbetrag. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts hörten die beschwerlichen Wanderungen der Schwabenkinder auf. Ähnlich den Schwabenkindern zogen alljährlich ganze Gruppen von Frauen, in erster Linie aus dem Montafon, zur Zeit der Getreideernte nach Schwaben bis nach Biberach und Kempten, um für einige Wochen als Ährenleserinnen zu arbeiten.

In vielen Fällen entwickelten Saisonwanderer und Gastarbeiter aus Vorarlberg engere Bindungen an ihre Gastländer und ließen sich dort als Gastarbeiter nieder bzw. wanderten in weiterer Folge gänzlich aus.

(Auszug aus der Vorarlberg Chronik)

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