Auszug aus dem Manuskript von Alois Niederstätter: Neues aus dem "finsteren" Mittelalter.
"Ein Beispiel mag solcherlei erläutern: Im Rahmen der Neubearbeitung der Montafoner Talschaftsgeschichte hatte ich mich mit den dortigen Burgen zu beschäftigen. Die Situation ist schwierig. Durch Baureste angedeutet werden nur zwei Anlagen, die freilich in ihrer Funktion als Burg nicht völlig eindeutig sind: das so genannten „Lorünser Schlössle“ oder „Diebsschlössle“ in kühner Lage auf dem Schlosskopf oberhalb von Lorüns bzw. Stallehr und die noch exponiertere Ruine Valcastiel am Ende der Mustergielschlucht. Des Weiteren hat die vorgebliche Existenz eines Edelgeschlechts „von Zalanz“ dazu angeregt, eine abgegangene Burg in Zalanz (St. Anton im Montafon) zu vermuten. Urkundlich unmittelbar nachweisbar ist keine davon; andererseits kennt die Literatur seit langem ein 1391 genanntes „Schloss Montafon“, das sie allerdings nicht sicher lokalisieren kann.
Am Anfang stehen Friedrich W. Lorinsers „Gedenkblätter“ aus dem Jahr 1868. Lorinser setzte das „Schloss Montafon“ mit dem „Diebsschlössle“ gleich. Ihm folgte 1897 Hermann Sander: „[...] im Zalum erhebt sich der Schlosskopf, auf dem die spärlichen Reste des „Diebsschlössles“ zu sehen sind, vermuthlich die Überbleibsel des Schlosses Montafon, das bekanntlich urkundlich genannt wird. Gütige Mittheilung des Herrn Bezirksschulinspectors E. Fleisch in Bludenz.“
Ausführlicher mit dem Thema befasste sich Andreas Ulmer in seiner 1925 erschienenen Arbeit „Die Burgen und Edelsitze Vorarlbergs und Liechtensteins“. Die Existenz eines „Schlosses Montafon“ stand für ihn bereits außer Zweifel, „indem es, wenn auch nur in einer einzigen Urkunde, allerdings bei einem sehr wichtigen Anlasse, erwähnt wird.“ Im Gegensatz zu Lorinser und Sander hielt Ulmer es für die rätselhafte Anlage Valcastiel, die im Zusammenhang mit dem Montafoner Silberbergbau als Sitz des Bergrichters errichtet worden sei. Dabei folgt er freilich – über weite Strecken wörtlich – einer zwei Jahre älteren Darstellung Josef Zösmairs. Kurz zuvor hatte Stefan Müller die Burg im Klostertal bei Wald am Arlberg gesucht.
Auch in Benedikt Bilgeris Landesgeschichte (1974) fehlt das „Schloss Montafon“ nicht. Im Jahr 1405, während der Appenzellerkriege, hätten die Eschnerberger die Burg Schellenberg Graf Albrechts von Bludenz, die „Montafoner wahrscheinlich dessen Burg Montafun im Schlosstobel von Vandans“ zerstört. In der Anmerkung fügte Bilgeri hinzu, das Schloss Montafon sei 1391 „letztmalig“ erwähnt worden. In diesem Sinn äußerten sich 1985 das DEHIO Handbuch der Kunstdenkmäler Vorarlbergs („Burgruine, im Valcastieltobel, in einzigartiger Lage auf einer inmitten des engen Taleinschnittes senkrecht aufsteigenden, gegen SW gratig gestreckten und an der Spitze nur wenige Meter breiten Felsklippe. Wahrsch. identisch mit der 1391 im Besitz der Grafen von Werdenberg- Heiligenberg genannten und vielleicht 1405 während des Appenzeller Krieges zerstörten Burg Montafon.“) sowie im selben Jahr Franz Josef Huber in seinem „Kleinen Vorarlberger Burgenbuch“.
Angesichts einer dergestalt schwergewichtigen Literaturpräsenz des „Schlosses Montafon“ scheint sich eine Diskussion zu erübrigen. Da aber sowohl am Lorünser Schloßkopf wie auf Valcastiel archäologische Untersuchungen stattfanden bzw. stattfinden, erschien eine neuerliche
Sichtung der Quellen angebracht. Jene Urkunde, in der das „Schloss Montafon“ aufscheinen soll, ist für die hiesige Landesgeschichte von großer Bedeutung: Als so genannte „Vorarlberger Eidgenossenschaft“ gilt sie als Gründungsakt der Vorarlberger Landstände. Am 18. August 1391 schlossen Graf Albrecht III. von Werdenberg-Heiligenberg-Bludenz, der Landesherr der Herrschaft Bludenz-Montafon, und die damals bereits habsburgische Stadt und Herrschaft Feldkirch ein auf 40 Jahre befristetes Bündnis, das beide Seiten zur Waffenhilfe im Falle der Landesverteidigung verpflichtete und darüber hinaus gerichtliche Zuständigkeiten regelte. Zwei Ausfertigungen sind erhalten, eine im Vorarlberger Landesarchiv in Bregenz, eine Zweite im Stadtarchiv Bludenz. Ein erster Blick auf den Text scheint die tradierten Vorstellungen zu bestätigen: Tatsächlich ist von zwain schlossen Bludentz und Montafun die Rede. Andreas Ulmer hätte also zurecht dem „Schloss Montafon“ „besondere Bedeutung“ zugebilligt, das „mit der Hauptburg der Herrschaft Bludenz, der Residenz der Grafen und Vögte, nämlich dem Schloß Bludenz, [...] in gleicher Linie aufgeführt wird“.
Allerdings – hier regen sich erste Zweifel: Eine zentrale Dynastenburg, vergleichbar mit dem Bregenzer Schloss, der alten Montfort oder der Feldkircher Schattenburg soll nur ein einziges Mal erwähnt und zudem nicht sicher lokalisierbar sein? Da die Überlieferungslage zur Geschichte der Grafen von Werdenberg im südlichen Vorarlberg verhältnismäßig gut ist, können weitere Herrschaftsverträge zur Überprüfung herangezogen werden. Am 5. August 1382, gerade neun Jahre vor Abschluss der Vorarlberger Eidgenossenschaft, hatten die Grafen von Werdenberg-Heiligenberg ihren Besitz geteilt, wobei Albrecht III. Bludenz und das Montafon durch Losentscheid zugefallen waren. In der darüber ausgefertigten Urkunde heißt es: Und ist mir dem vorgenanten graf Albreht dem Elttern mit dem louz ze tail worden und gefallen Bludentz, die stat, Montafphun das tal die vesti ze Bürs, die vesti ze Schellenberg, die vesti zuom Eglolfz [...].Ein „Schloss Montafon“ scheint nicht auf.
Am 5. April 1394 verkaufte Graf Albrecht III. seinen Besitz an die Herzoge von Österreich: Von erst Bludentz, burg und stat, item die veste Purs, item den hof zu Sand Peter und das tale zu Muntafun mit sampt allen den leuten, nutzen, zinsen stewrn, zo(e)llen, gerichten, velllen, manscheften und lehenschaften, geistlichen und weltlichen, holtz, veld, wasser und wayd, wildbennen und vyschweiden und mit allen den nutzen, eren, rechten und wirden.
Wieder – nur knapp drei Jahre nach der „Eidgenossenschaft“ – fehlt das „Schloss Montafon“. Gerade in einer Verkaufsurkunde, die den zu übertragenden Besitz genau spezifiziert, würde eine Dynastenburg aber kaum unerwähnt bleiben. Aufgrund dieser Indizien ist eine neuerliche,
genauere Analyse des Urkundentextes von 1391 angebracht. Es heißt dort:
Wir Graf Albrecht von Werdenberg vom Hailigenberg der elter herr ze Bludentz und wir dis nachbenempten sin lüt all gemainlich rich und arm edel und unedel des ersten der vogt der rát und die burger all gemainlich rich und arm der statt ze Bludentz darnach die lút gemainlich in dem tal genant Montafun und alle die lút die in den hof ze sant Peter by Bludentz geho(e)rent darzu(o) das tal und gericht in dem Silberberg und alle die lut die in dem selben tal und gericht sesshafft und wonhafft sint es sigint silbrer wallser frygen vogtlút ald aigen lút der burgherr uff der vesti Búrs und alle die lut die darzu(o) geho(e)rent und mit namen alle die lut die wir vorgenanter Graf Albrecht vor den zwain schlossen Bludentz und Montafun in Walgo(e) habint wa die in dem tal sesshaft alder wonhafft sint darnach die burgherren baid auf der alten und der nuwen burg Schellenberg die gelegen sint an dem Eschnerberg und alle die lút die zu(o) den selben zwain vestinen geho(e)rent wa die auch sesshafft alder wonhafft sint und darzu(o) der keller ze Wolffurt und alle die lut die darzu(o) und darin geho(e)rint und och mit namen alle die lút die wir vorgenanter graf Albrecht ob der Bregentz heruffwert im land habint wa die och sesshafft oder wonhafft sint [...]; sowie in weiterer Folge: [...] graf Albrecht der elter vor den zwain schlossen Bludentz und Montafun sitzzent hat in Walgo(e) [...].
Der fragliche Texabschnitt bezeichnet alle jene Menschen, die „vor“ den zwain schlossen Bludentz und Montafun im Walgau – wo auch immer in diesem Tal – leben und der Herrschaft Albrechts unterstanden, also die werdenbergischen Untertanen in den Herrschaften Sonnenberg, Blumenegg und Jagdberg. Es handelt sich also unzweifelhaft um eine Raumbestimmung, die aber kaum mit der Nennung zweier Punkte in Einklang zu bringen ist.
Könnte „Schloss“ nicht noch eine andere Bedeutung als „Burg“ besessen haben? Tatsächlich lehrt bereits ein Blick in das „Schwäbische Wörterbuch“, dass „Schloss“ in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts auch räumlich verwendet wurde und dann ein Herrschaftsgebiet bezeichnete. Wenn nun die zwain schlossen Bludentz und Montafun in diesem Sinn verstanden werden, ist das Rätsel gelöst: Die Urkunde von 1391 nennt jene Leute des Grafen, die im Walgau „vor“ – also außerhalb - der beiden, übrigens räumlich getrennten, Herrschaften Bludenz und Montafon lebten.
Angesichts dieser Ergebnisse – fehlende Nennung in zentralen herrschaftlichen Urkunden, Wortlaut der Urkunde von 1391 sowie Nachweis der Möglichkeit, das Wort „Schloss“ für „Herrschaftsgebiet“ zu verwenden – kann das „Schloss Montafon“ getrost dorthin verwiesen werden, wo es hingehört: ins Reich der historischen Fiktion! Beeindruckend bleiben freilich die
Rezeptionsketten sowie die Schlüsse, die aus einer singulären Nennung gezogen wurden.
Archäologische bzw. bauanalytische Befunde weisen beim so genannten „Diebsschlössle“ im Übrigen darauf hin, dass es sich zwar um eine mittelalterliche Anlage handelte, die aber offenkundig nicht fertig gestellt worden ist. Auch die Reste eines etwa 3,5 m x 3,5 m großen
turmartigen Baues von Valcastiel sind ins Mittelalter zu datieren, und zwar bereits in das 12. Jahrhundert. Ihre Funktion in völlig abgeschiedener, äußerst exponierter und nur über einen Klettersteig zugänglicher Lage gilt es jedoch noch zu erforschen."
Heute Abend, 3.10.07 um 19:30 im Montafoner Heimatmuseum: Alois Niederstätter, Landesarchivar und Professor für Mittelaltergeschichte, hat sich im Rahmen des zweiten Bandes zur Montafoner Geschichte (die Publikation erfolgt demnächst) mit der Periode des Mittelalters in unserer Talschaft auseinandergesetzt und wird an diesem Abend Auszüge daraus referieren.
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