27. September 2007

Prättigauer Höhenweg

Spiegelglatt liegt der Partnunsee im Morgenlicht. Gestochen scharf reflektiert er Himmel, Wolken, Wiesen, Geröllhalden, Felsbrocken und zwei gewaltige Kalkberge - Sulzfluh und Schijenflue -, die links und rechts Hunderte von Metern aufschiessen und das Bergseelein in die Zange nehmen. Die Stimmung ist zauberhaft. Dass der örtliche Verkehrsverein die Region phantasievoll als «Gleich hinter dem Mond, links» definiert, leuchtet ein. Schön, dass sie gleichwohl auf der Welt und erst noch gut erreichbar ist.

Wilde Steinlandschaft

Ab Küblis im Prättigau schlängelt sich das Postauto nach St. Antönien hinauf. Wer von hier die leicht ansteigende Wanderung zum Berghaus Sulzfluh im Weiler Partnunstafel scheut, dem steht immer noch das Ortstaxi mit dem auskunftsfreudigen Chauffeur zur Verfügung. Zum erwähnten See auf 1869 Metern über Meer tragen einen die Füsse dann in einer kurzen halben Stunde. Der liebliche Ort muss nicht Endstation sein. Der Weg führt weiter hinauf, hinein in eine Karstlandschaft, in einen weiten, mit Fallgruben und wilden Steingebilden durchsetzten Kessel. Man wandert vorbei an Elefantenrücken und bizarren Tierköpfen, in einer Felswand gähnt schwarz eine Höhle, und am Horizont ergiesst sich ein Gletscher aus Stein. So urzeitlich ist die Stimmung, man wäre nicht erstaunt, würde am Horizont ein Mammut auftauchen.

Gruoben heisst die Landschaft und ist Grenzgebiet. Über die Ränder im Osten und Norden, über den Gruobenpass, das Grüen Fürggli und das Tilisunafürggli, gelangt man leicht ins österreichische Montafon, so wie einst die Prättigauer Schmuggler, die Zigaretten und Schokolade über die grüne Grenze trugen. Einer ihrer Umschlagplätze war die Tilisuna-Hütte, wo auch wir einkehren und uns auf der Aussichtsterrasse mit Gerstensuppe, Apfelstrudel mit Schlagobers, Tee und Radler für den zweistündigen Rückweg stärken.

Zwar liesse sich von hier aus dem Vernehmen nach problemlos auf die Sulzfluh wandern, auf den 2800 Meter hohen Felszahn, der von Schweizer Seite aus so gefährlich steil wirkt. Uns aber zieht's zurück an den See, wo zwei kleine Ruderboote auf sportliche Touristen warten, und vor allem ins Berghaus Sulzfluh, wo das Wirtepaar Käthi Meier und Ernst Flütsch der Region entsprechend kocht. - Die gemütlichen Zimmer sind bezogen. Im 130-jährigen Schindelhaus spenden nach dem Eindunkeln Petroleumlampen und Kerzen Licht. Nicht selten erklingt des Abends Musik. Heute spielt in der prallvollen Gaststube ein Akkordeonist auf, vom ersten Ton an so virtuos, dass die Gespräche an den Tischen sogleich verstummen. Eine Musette nach der anderen erklingt. Früher sollen sogar Montafoner den langen Bergweg nicht gescheut und in der «Sulzfluh» das Tanzbein geschwungen haben. «Chäsgätschäder» heisst die Spezialität, die Ernst Flütschs Team an diesem Tag auf die Tische trägt, ein regionales Käsegericht von rezentem und feinem Geschmack. Greyerzer, Appenzeller und Alpkäse, Weissbrot sowie Milch bilden die Basis. Zudem braucht's Butter, Zwiebel, Knoblauch, Muskat, Salz, Pfeffer, etwas Weisswein, Rahm und Cognac, damit die Masse richtig sämig wird. Das Gericht erinnert an Raclette, sein Geschmack ist aber origineller und nachhaltiger. Nach dem Schmaus braucht man Bewegung. Zum Glück ist der Himmel klar, und wir erleben in der Dunkelheit wenige Schritte vom Haus entfernt ein glitzerndes Firmament, wie man es im Unterland selten sieht.

Eindrückliche Grenzwanderung

Beim Berghaus Sulzfluh kommt man auch vorbei, wenn man den Prättigauer Höhenweg unter die Füsse nimmt. Er führt von der Saaser Alp ob Klosters über die Mässplatte, das Fürggli und die Aschariner Alp nach St. Antönien, von hier hoch zur Carschina-Hütte, weiter zur Schesaplana- Hütte und endet schliesslich in Malans in der Bündner Herrschaft. Für die ganze Tour braucht man - je nach Tempo - drei bis fünf Tage. Für uns ist am nächsten Morgen die Carschina-Hütte das erste Ziel. Zu überwinden sind knapp 500 Höhenmeter. Oben auf der Terrasse gibt's eine schöne Rundsicht und einen ausgezeichneten, selbst gebackenen Kuchen. Diese Stärkung können wir gut gebrauchen, denn der Weg zur nächsten Übernachtung ist weit, weiter, als der Wegweiser verspricht. Die Angabe - 5½ Stunden bis zur Schesaplana-Hütte - ist nach Auskunft der Hüttenwartin nur mit Siebenmeilenstiefeln zu schaffen. Recht hat sie: Wir benötigen, ohne zu bummeln, 2 Stunden mehr.

Die eindrückliche Höhenwanderung beginnt auf der Carschinafurgga (2221 m). Lange Zeit führt der gut markierte Weg entlang den imposanten, bis 500 Meter hohen Kalkwänden der Drusenfluh. Sie bilden die Landesgrenze, für Wanderschuhe sind sie unbezwingbar. Nur an wenigen Stellen gestatten sie den Übergang nach Vorarlberg, Drusator heisst einer, ein anderer Schweizertor. Unfreundlich steil und felsig, verlangen sie einen sicheren, schwindelfreien Tritt. Wir lassen beide Scharten rechts liegen und kommen auch so an die Grenze: Vom windigen Cavalljoch blicken wir weite österreichische Wiesenhänge hinunter zum grossflächigen Lünersee. Im Westen, immer noch 10 Kilometer entfernt, erhebt sich der fast 3000 Meter hohe Schesaplana, zu dessen Füssen die Hütte liegt, bei der wir uns für die Nacht angemeldet haben. Zum Glück, denn als wir gegen Abend eintreffen, ist sie bereits zum Bersten voll.

Jassen mit Aussicht

Unser Ziel am folgenden Tag ist die Älplibahn. Mehrere Wege führen dorthin. Wir wandern durch den Alpnovawald, dann hinauf zur Fläscher Alp und erreichen nach 5½ Stunden die Bergstation, wo auf der Terrasse der Gastwirtschaft ältere Semester den Nachmittag mit Jassen verbringen.

Dass das luftige Happening stattfinden kann, ist einer Schar von Enthusiasten zu verdanken, dem Älplibahn-Verein, der die Bahn seit gut 20 Jahren auf privater Basis betreibt und mit jeder Fahrt acht Leute von Malans 1200 Höhenmeter hinaufbefördert. Gebaut wurde die Bahn im Zweiten Weltkrieg, um die Truppen auf der Malanser Alp mit Nachschub zu versorgen. 1980 drohte die Schliessung, weil Material und Technik veraltet waren. Dagegen sträubte sich der Verein. Er nahm die Renovierungsarbeiten an die Hand und sorgt seither mit viel Engagement und Gratisarbeit dafür, dass der schöne Aussichtsplatz auf 1800 Metern erreichbar bleibt.

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