14. März 2013

12. März 1938: Hugo Ebners und Jura Soyfers Fluchtversuch über Gargellen

12. März 1938: Hugo Ebners und Jura Soyfers Fluchtversuch über Gargellen - ein Beispiel für die folgenschwere Rolle der einheimischen Gendarmerie in den Tagen nach dem Anschluss

Bereits in den ersten Tagen nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich am 12. März 1938 wurden im Rahmen einer großen Verhaftungswelle ca. 76.000 Österreicher festgenommen und binnen kürzester Zeit in Konzentrationslager deportiert.
Jura Soyfer, 1912 als Kind russisch-jüdischer Eltern in Charkow geboren, lebte seit 1920 in Wien und war in der links-intellektuellen Szene Wiens schon bald als Dichter und Mitarbeiter bei sozialistischen Zeitschriften bekannt. Soyfer musste also schon aufgrund seiner politischen Tätigkeit befürchten, dass sein Name auf der NS-Fahndungsliste vermerkt war. Da er zur Zeit des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich über keinen Pass verfügte, der eine legale Ausreise erleichtert hätte, war er gezwungen, die Flucht über die Berge zu wagen.
Gemeinsam mit seinem Freund Hugo Ebner nahm er am 12. März 1938 einen überfüllten D-Zug von Wien nach Bludenz. Hugo Ebner war im Jahr zuvor im Montafon auf Schiurlaub gewesen und schlug daher die Flucht über die Montafoner-Prättigauer Grenze in die Schweiz vor:

„Von allen Fluchtmöglichkeiten schien die von Hugo Ebner vorgeschlagene am plausibelsten: eine gemeinsame ‚Schiwanderung’ über die Schweizer Grenze. [...] Die beiden Freunde verlassen am Morgen des 13. März in Bludenz den Zug und fahren mit dem Bus bis Schruns. Auf Schiern steigen sie auf den 1450 m hoch gelegenen Gargellen [sic!], um von dort die Grenze zu erreichen. Am Nachmittag werden sie von einer österreichischen Grenzpatrouille,
die aus [zwei oder] drei Gendarmen besteht, perlustriert. In Juras Rucksack findet sich eine Sardinenbüchse, die in eine Zeitung eingewickelt ist, die schließlich zur Verhaftung führt [Anm. Richtigstellung: Die in Zeitungspapier gewickelte Sardinenbüchse befand sich in Hugo Ebners Rucksack]. Dabei handelt es sich nicht, wie von Personen, die nicht dabei waren, immer wieder erzählt wird, um ein Exemplar der Roten Fahne [Anm.: einer zu dieser Zeit illegalen Parteizeitung der Kommunisten] oder einer anderen illegalen Publikation. Die Situation ist viel grotesker. Der Greißler hatte die Sardinendose in einer Zeitschrift der völlig legalen Einheitsgewerkschaft aus dem Jahr 1936 eingewickelt. Der jüngste der Gendarmen, offensichtlich ein Nationalsozialist, der sich schon in den allerersten Tagen der ‚Ostmark’ seine Sporen verdienen will, nimmt trotzdem Anstoß daran. Daß die beiden Angehaltenen ‚etwas gedrucktes’ mithaben, ist ihm schon Grund genug zur Verhaftung. Er hätte wahrscheinlich einen anderen Vorwand gefunden, wenn diese Zeitung nicht gewesen wäre. Die anderen Gendarmen, durch das ‚Gedruckte’ ebenfalls alarmiert, wollen sich wegen des Eifers des Jungen auf nichts einlassen und lassen die Verhaftung geschehen.
Soyfer und Ebner werden nach St. Gallenkirchen [sic!] eskortiert, wo sie die Nacht im Gemeindekotter verbringen. Am nächsten Tag werden sie nach Bludenz gebracht – in das wohl sauberste Gefängnis Österreichs, der Wärter gibt ihnen Filzpantoffeln, um den Fußboden der Zelle zu schonen. Am 16. März werden sie ins Landesgericht Feldkirch überstellt. Ein Telephonat nach Wien ergibt, dass sie beide ‚Politische’ sind.“


Hugo Ebners Schilderung der Ereignisse kann unter
http://www.doew.at/erinnern/biographien/erzaehlte-geschichte/anschluss-maerz-april-1938/hugo-ebner-wir-versuchen-es-ueber-die-berge nachgelesen werden.



... Im KZ Buchenwald erkrankte Jura Soyfer aufgrund der katastrophalen sanitären Zustände an Typhus und verstarb am 16. Februar 1939 im Alter von 26 Jahren.

Mehr zu dieser Fluchtgeschichte bzw. zu vielen anderen geglückten oder gescheiterten Grenzübertritten zwischen 1938 und 1945 können im Band "Grenzüberschreitungen. Von Schmugglern, Schleppern, Flüchtlingen" nachgelesen werden. Erhältlich in den Montafoner Museen und online unter www.stand-montafon.at/montafoner-museen/shop/sonderband-5-zur-montafoner-schriftenreihe

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